Pietät auf dem Prüfstand

Der Begriff Pietät wirkt etwas verstaubt. Die neue Offenheit signalisiert: Trauern als individuelle Angelegenheit, die von Konventionen befreit werden muss. Das alles bringt die Pietät in Verruf. Sie steht unter dem Verdacht, die Toten zu verstecken und den Tod zu tabuisieren.

Den Toten mehr Platz im Leben geben

Wer die Toten durch Hintereingänge hinausschafft, wer die Abendstunden abwartet, bis sich im Pflegeheim alle Bewohner:innen schlafen gelegt haben, meint oft er handle pietätvoll. Wer die Stimme senkt, wenn er in die Nähe eines Sarges kommt oder nur hinter vorgehaltener Hand über die Verstorbenen spricht, denkt er sei respektvoll. Das ist ein falsches Verständnis des Pietätsbegriffes. Denn es verhindert den natürlichen Umgang mit dem Tod und den Toten. Pietät wird benutzt, um alle Vorgänge rings um das Lebensende zu tabuisieren.

Was Pietät ursprünglich meint

Das Wort Pietät hat seinen Ursprung im lateinischen Begriff pietas. Es meint Frömmigkeit, Ehrfurcht, Pflichtgefühl und pflichtgemäßes Verhalten gegenüber Gott und den Menschen. Wie die “Pietät” wirken diese Begriffe heute auf viele Menschen wie aus einer anderen Zeit. Man hört sie eher selten im täglichen Sprachgebrauch. Verwendet wird der Begriff Pietät heute im Bereich der Totenfürsorge und der Bestattung. Es geht um Taktgefühl in Bezug auf Umgang mit verstorbenen Menschen, den Umgang mit Trauernden und das Verhalten auf dem Friedhof.

Doch Pietät bleibt ein schillernder Begriff. Was genau ist pietätvoll und was im Gegensatz dazu pietätlos? Vor zwanzig Jahren galt es als pietätlos, in Alltagskleidung oder farbigem Outfit zur Beerdigung zu erscheinen. Heute fordern immer mehr Menschen die Trauergäste auf, nicht in Schwarz zu kommen. Jeans und Sneaker zu tragen ist schon lange kein Stein des Anstoßes mehr.

Ein anderes Bedeutungsfeld sind die Elternliebe, Geschwisterliebe, Freundesliebe, Dankbarkeit und liebevolle Gesinnung. Damit kommt man der Haltung näher, die heute als pietätvoll gilt, ohne diesen Begriff zu verwenden. Es geht um Achtung, Einfühlungsvermögen, Feingefühl, Respekt, Rücksichtnahme. Mit dieser Grundeinstellung den Verstorbenen und den Lebenden gegenüber kommt man dem Wesentlichen näher. Nicht eine konkrete Regel, eine bestimmte Tradition ist im Blick, sondern die Haltung, mit der ganz unterschiedlich auf die unterschiedlichen Bedürfnisse von Menschen reagiert werden kann.

Ist der Urnenversand per Paketdienst pietätlos?

Wenn Krematorium und Beisetzungsort weit voneinander entfernt sind, muss die Urne von A nach B kommen. Für die meisten ist der Urnenversand per Paketdienst zunächst einmal praktisch und kostensparend. Angehörigen wird auf manchen Friedhöfen verwehrt, die Urne selbst zum Grab zu tragen oder sie in das Urnengrab zu geben. Argumentiert wird mit der Gefahr, dass die Urne durch eine Unachtsamkeit herunterfällt. Das wäre kein schöner Eindruck. Doch kaum einer scheint sich Gedanken darüber zu machen, wie so ein Paket auf dem Transportweg behandelt wird. Jeder hat schon einmal ein Paket bekommen, das beschädigt war. Oder man kommt ins Schwitzen, weil das Paket verschollen ist und die Recherche nach dem Aufenthaltsort in Leere läuft.

Vor den Augen der Trauergäste wird die Urne wie ein rohes Ei behandelt und bedächtig getragen. Beim Versand schaut keiner so genau hin. Folgerichtig wäre, die Verstorbenen ortsnah einzuäschern und nur im Ausnahmefall den Paketdienst zu bemühen. Oder die höheren Kosten in Kauf zu nehmen, wenn die Urne im Bestattungsfahrzeug transportiert wird. Der Versand ist zunächst einmal praktisch. Er kann auch pietätvoll sein, wenn alles Notwendige getan wird, um einen guten Transport zu garantieren: sicherere Verpackung und spezialisierter Logistikanbieter. Es ist ja nicht so, dass das Paket an die Angehörigen geschickt wird und versehentlich bei den Nachbarn landet.

Falsch verstandene Pietät überwinden

Wenn man diesen verstaubten Begriff heute überhaupt noch verwenden will, dann wäre es pietätvoll, dem Tod und den Toten wieder mehr Platz im Leben zu geben. Das bedeutet auch vorhandene Tabus zu brechen. Dazu gehört das ganze Regelwerk, was man in der Trauerfeier tun darf und was nicht. Trauer darf bunt sein. Die Menschen dürfen ihre eigenen Formen des Abschiednehmens finden. Wer den Impuls hat, das letzte Fest im Sinne des Verstorbenen zu feiern, gestaltet die Feier sehr bewusst. Wer die Individualität des Menschen anerkennt, die sich in einer Feier ausdrückt, darf die Konventionen auf dem Friedhof in Frage stellen.

Pietät darf nicht zum Abwehrbegriff gegen unkonventionelle Trauerfeiern degradiert werden. In einem modernen Verständnis bedeutet er Respekt vor der Trauer der Hinterbliebenen, die neue Wege geht. Neue Trends in unserer pluralen Gesellschaft fordern mehr Freiheiten beim Abschied und Trauer. Sie werden schnell als pietätlos gebrandmarkt. Es ist noch nicht entschieden, ob die Menschen den Begriff Pietät in diesem Sinne mit einer neuen Bedeutung belegen oder ob sie in Zukunft auf ihn verzichten werden.

Die Haltung wahrnehmen

Es ist nicht möglich, allgemeingültige Aussagen darüber zu treffen, welche Handlungen als pietätvoll gelten können und welche nicht. Das hängt immer auch von den Gefühlen der Angehörigen ab. Da es keinen gesellschaftlichen Konsens mehr darüber gibt, wird umso wichtiger, den Kontext des Trauerfalls zu betrachten. Die Grenze ist dann erreicht, wenn Feingefühl und Rücksichtnahme fehlen.

Früher gab es sehr viele Berührungsängste zu Bestattern. Inzwischen sind viele Menschen neugierig, wie die Arbeit des Bestatters abläuft, bis hin zu den einzelnen Schritten einer Versorgung. Es ist kein Tabu mehr, sich mit den körperlichen Vorgängen zu beschäftigen. Doch der konkrete Verstorbene bleibt in seiner Individualität geschützt. Er wird nicht als Person vorgeführt, sondern bleibt anonym. Würde diese Grenze überschritten, würde das zu einem Vertrauensverlust führen.

Autor:
Columba Blog-Redaktion
Bild:
Rapid Data

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